Im Perspektivenwechsel von NEUES LAND stellt Martina Kiefer klar, wie wichtig die EU-Wahl für die Bäuerinnen und Bauern ist und warum bäuerliche Berufskollegen europaweit protestieren.
Wir haben es alle noch vor Augen: Die Videos und Bilder von angezündeten Traktorreifen, Güllefässern auf den Straßen der EU-Hauptstadt Brüssel und Ackerarbeiten auf Autobahnen.
Den Startschuss der Protestwelle verzeichneten vergangenen Herbst die deutschen Bauern. Wir erinnern uns, als die links-liberale Ampel-Regierung den Sparstift als allererstes bei der Landwirtschaft angesetzt hatte und das Agrardieselprivileg streichen wollte. Taktisch nicht ganz ausgereift, wenn man bedenkt, wie ausdrucksstark rollende Traktoren medial sein können. Es folgte prompt ein Sturm der Entrüstung, die ersten vom Bauernverband organisierten Traktorkolonnen rollten zum Brandenburger Tor. Anfang dieses Jahres solidarisierten sich auch Landwirte anderer EU-Länder mit den deutschen Berufskollegen. Denn augenscheinlich schaffte es eine so kleine Berufsgruppe in der Protestbewegung sehr mächtig aufzutreten und – überwiegend – glaubwürdig zu sein.
Die zentrale Botschaft ist meiner Meinung nach bei den meisten Medien und Menschen angekommen: Europas Bauern haben wie viele Berufsgruppen ein Kostenproblem und sind darüber hinaus sichtlich unzufrieden mit der Europäischen Agrarpolitik, zunehmender Bürokratie und zu hohen Umweltauflagen. Darüber hinaus machen französische Bauern gegen das Handelsabkommen Mercosur mobil, Bauern im Osten stören sich an den zollfreien Einfuhren bei Agrarimporten aus der Ukraine, welche den EU-Binnenmarkt negativ beeinflussen. Zuletzt ließen bäuerliche Berufskollegen mehrerer Länder beim Agrarministerrat in Brüssel diese Woche ihrem Ärger Luft. Mit 900 Traktoren und leider auch teils brutalen, rechtswidrigen Aktionen wollten sie eine Kurskorrektur erzwingen. Ob letztere Methoden die Probleme wirklich lösen? Wohl eher nicht.
Warum Österreichs Bauern (noch) nicht protestieren, hat diese Woche Franz Sinabell, Agrarexperte vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO), im Ö1-Morgenjournal erörtert. „Mein Eindruck ist, dass es der Regierung besser gelingt, die Landwirtschaft dabei zu unterstützen mit den Problemen, die alle europäischen Bäuerinnen und Bauern treffen, gut umzugehen.“ Außerdem seien die Bäuerinnen und Bauern aufgrund ihrer seit Jahrzehnten gelebten umweltfreundlichen Landwirtschaft sehr beliebt bei der Bevölkerung. Es seien vorrangig die internationalen Agrarmärkte, die den Bauern das Leben schwer machen würden, weniger die nationale Politik. Österreichs Bauern würden verstehen, dass es wenig Sinn mache „gegen global sinkende Agrarpreise am Heldenplatz zu demonstrieren“, so Sinabell.
Am ehesten mitgestalten kann man die Agrarpolitik meiner Meinung nach am besten dort, wo demokratisch gewählte Bauernvertreter ihre Erfahrungen aus der Praxis einbringen. Als Mandatarin oder Mandatar im EU-Parlament, wo über 80 Prozent der Gesetze für den Agrarbereich zusammengezimmert werden.
Martina Kiefer ist Obmann-Stellvertreterin bei den Steirischen Jungbauern. Die BOKU-Absolventin lebt und arbeitet gemeinsam mit ihrem Mann auf einem Ackerbau- und Forstbetrieb im südsteirischen St. Martin im Sulmtal. Zudem ist sie bei der Energie Steiermark AG als Public Affairs Managerin tätig.